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; Wöchentliche
Illinois Staats - Zeitung.
Mittwoch, den 16. August 1899.
—————
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Ilinois Staats-Zeitung 00.,
Chicago, All.
——
In Spanien ist trotß des Verlustes
der Kolonien das Militär- und Ma—
rine-Budget erhöht worden. Es in
kaum denkbar, daß das Volt eine solch
blödsinnige Regierung noch lange ertragen
wird.
In Massachusetts hat man seit
1893 ein Gesetz, welches den Städten ge—-
stattet, Waldland außerhalb ihrer
Grenzen zu erwerben. In Minnesota will
man das auch einführen. So tommt der
deutsche Gemeindewald auch hier als ge—
meinnützige Einrichtung in Aufnahme.
Das hiesige „Journal“ irrt sich, wenn es
behauptet, daß in Berlin nur 37 Pro—
zent Deutsche wohnen, während alle übri—
gen Bewohner Ausländer seien. Im Jahre
1890 wohnten in Berlin nur 26,402 Nicht—
deutsche. Dagegen ist es annähernd richtig,
daß von der Bevölkerung nur 37 Prozent
geborene Berliner sind.
Die niedrigen Arbeitslöhne und bi l
Ligen Waarenpreise seien nur eine Folge
der Goldwährung, behaupten seit Jah
ren die Silberleute. Seit aber unsere
jetzige Regierung dirett auf die ausschließ
liche Goldwährung zusteuert, heben
sich die Arbeitslöhne und steigen dieWae—-
renpreise. Die Silberleute aber suchen jetzt
nach anderen Scheingründen für ihre
unhaltbare Währungstheorie.
Der fchweizerische Obert
Künzli, der auf der Friedenscon—
ferenz im Haag so beredt für die Berech
tigung des Volkskriegs sprach, ist Mitglied
des großen Rath·rs des Kantonz Aargau,
Armeecorpskommandant, Mitglied des Na
tionalrathes und Vertrauter des Bunde--
rathes. Politisch spielt er eine große Rolle,
ist Führer der
tei, ein alter, gewiegter politischer Taktiker
und hätte schon mehrmals Mitglied des eid
genössischen Bundesrathes werden können,
lehnte jedoch ab.
Die Chieago Tribune warnt
den geliebten John Bullvor der furcht
baren Entschlossenheit der Buren,
deren Londoner Organ für den Kriegsfall
mit der Zerstörung der Goldbergwerke im
Transvaal droht. Die Tribune meint:
England solle nicht vergessen, daß die alten
Niederländer, die Vorfahren der meisten
Buren, einst entschlossen waren, lieber burch
Zerstörung der Dämme ihr Land und sich
selbst zu zerstören, als sich nochmals der
Herrschaft Spaniens zu unterwerfen; die
den Buren jeder Zeit mögliche Zerstörung der
Goldminen im „Rand“-Gebirge Transvaal's
würde aber England und seine Börse viel
furchtbarer beschädigen als die Buren.
So fschlimm wie in Ehitago.
Die Clevelander Steuerbehörde theilt mit,
daß über 50 Clevelander Millionäre durch
die Ausrede, ihre Wohnung befände sich in
New Yorkt, der Steuer sich entziehen. Capt.
Mactenzie,, ein Mitglied der Steuerbehörde,
erklärt: „Arme Wittwen mit einem Häus
chen von 4 bis 5 Zimmern zahlen mehr per—-
sönliche Steuern als diese Millionäre. Ein
reicher Bürger braucht, um der Steuer zu
entgehen, nur sechs Monate außerhalb der
Stadt zu verleben. Auf diese Weise wird
für $30,000,000 persönliches Eigenthum
nicht eingeschätzt, was jährlich eine Steuer
von etwa einer Million Dollars ausmacht.“
Die Verhältnisse in Marotto
Madrider Zeitungen veröffentlichen Privat
meldungen aus Ceuta und Tanger, worin
der Ausbruch einer allgemeinen Erhebung
der Kabylenstämme angekündigt wird. Der
junge Sultan Abdul Azize sei seit mehreren
Wochen wieder schwer krank, und gegen das
diktatorische Regiment des Großwesirs, der
sich aller Gegnerschaft zum Trotz im Amte
zu halten wisse, habe die Erbitterung den
höchsten Grad erreicht. Im ganzen Reiche
herrsche Anarchie, die Riftabylen beabsich
tigen die Herrschaft des Sultans gänzlich
abzuschütteln und sich unter englischen oder
französischen Schutz zu stellen. Jedenfalls
sei eine große Anzahl fremder Agenten im
Norden des Reiches thätig.
Die nun wirklich in's Leben gerufene
Nationalpart— und Forst-Asso—
cia tion, der auch hervorragende Deutsche
Minnesota's wie Herr Bergmeier von der
St. Pauler Volkszeitung angehören, arbeitet
auf eineForstreservationimnör d—
lichen Minnesota westlich von Du—
luth mit Einschluß der Mississippi-Quellen,
hin. Eine eigene Commission wird die hier
in Betracht tommenden Gegenden bereisen
und dann, ihren Beobachtungen gemätßz, ihre
Vorschläge machen. Wo möglich soll aus
den bezüglichen Ländereien ein Natio—
nalpark von Bundes wegen geschaffen
werden. Uebrigens thut der Staat Minne—
sota auch von sich aus mehr für Waldungen
als die meisten anderen Staaten der Union,
und ist namentlich in Vorkehrungen gegen
Waldbrände anderen Staaten weit voraus.
Zum KatholikentaginNeisse.
Die polnischen Katholiten hatten, wie kürz
lich an dieser Stelle erwähnt wurde, ihre
Theilnahme am Deutschen Katholikentage in
Neisse davon abhängig gemacht, daß sämmt—-
liche Reden und Vorträge in polnischer
Sprache wiederholt würden. Diese For—
derung ist von der deutschen Centrumspresse
unter Hinweis auf den deutschen Cha—
rakter der Veranstaltung mit Nachdruck zu—-
rückgewiesen worden, und es hat sich aus der
Sache ein scharf zugespitzter Streit zwischen
den deutschen und den polnischen Katholiten
blättern entwickelt. Die Polen lehnen eine
Betheiligung an dem Congreß ab und berei
ten einen Konkurrenzcongreß vor, der vor
der Tagung der Deutschen in Oberschlesien
abgehalten werden soll.
Der republitanische Bundessenator
Hansbrough von Nord-Datkota erklärt:
im neuen Congreß werde er ein Verbot der
Cantinen des Heeres durchsetzen, das
kein Schade und kein Bartholdt, und nach
deren Rezept kein Oberbundesanwalt und
tein Kriegsminister umdeuteln und zunichte
machen könne. Aber beinahe alle offiziellen
Berichte aus dem Heere stimmen darin ühber—
ein, daß die Cantine mit dem von ihr geför
derten anständigen Genusse milder geistiger
Getränke unendlich mehr zur Bannung des
Schnaps- und Sauf-Teufels aus dem Heere
thue, als ein Verbot der Cantine, das die
Soldaten nur in Schnapshöhlen treibe.
Man glaubt daher, daß das saubere Vor—-
haben des Hansbrough im sechsunofünfzig—
sten Congreß nicht gelingen wird.
Deutsch- amerikanische Organisa—
tionen und Parteiklepperei.
Einzelne Deutsche, nicht sowohl in Chi—
cago, als auswärts. scheinen der Meinung
zu sein, daß die deutsch-amerikanischen Or—
ganisationen gleichbedeutend sein sollten und
müßten mit Unterstützung einer demokrati—
schen Silberpartei. Und sie erheben jetzt ge
gen solche deutsch-amerikanische Zeitungen,
welche die deutsch-amerikanische Bewegung
vom ersten Anfange an aufs träftigste un
terstützten, aber zugleich dem Bestreben, die
selbe in ein bestimmtes Parteilager zu schie—
ben, entgegentreten, den sonderbaren Vor—-
wurf: diese Zeitungen machten bezüglich
der deutschen Bewegung eine „merkliche
Mauserung“ durch.
Nein sie sind heute noch bieselben, wie
im Anfange der Bewegung.
Die gewaltige deutsche Maßsenversamm—
lung in Chicago, die den Hauptanstoß zu
der ganzen deutschen Massenbewegung, zu—-
nächst im Westen, gab, hütete sich, obgleich
sie inmitten eines heißen städtischen Wahl—
kampfes statifand, sorgfältig, die Partei—
politikt mit hineinzuziehen. Schon ihre Ur—
heber waren sich, obgleich und eben weil sie
in verschiedenen großen Fragen grundver—
schiedener Meinung sind, von Anfang an
klar darüber, daß neben der augenblicklichen
Hauptfrage und Hauptsorge der Deutschen
jede andere Frage zu schweigen hadbe.
Darum wurde selbst die große Frage: „Ex—
pansion und Annexionen oder nicht?“,
der Chicagoer Bewegung gänzlich aus dem
Spiele gelassen, sowohl in den Reden an
die Massenversammlung als in den genau
den Reden angepaßten Beschlüssen, und die
Versammlung selbst zeigte sich mit diesem
Verfahren äußerst zufrieden. Die von ihr
mit einhelliger Begeisterung angenommenen
Beschlüsse „protestiren mit aller Enischie
denheit gegen die Hetzer, welche nicht
nut Feindschaft zwifschen den
Ver Staaten und dem deut—
schen Reich, sondern auch Unfrieden
zwischen den Bürgern dieses Landes stiften
wollen.“ Sie protestiren ebenso nachdrück
sch gegen bie Absicht, unfere
Republit in ein Bündniß; mit
England zu verstricken“ Und
dann sagen sie: mit allen gesetzlichen Mit
teln und ganz besonders bei Wahlen wür
den die Theilnehmer alle Diejenigen be—
kämpfen, welche die maßlosen Hetizereien
und thörichten Bündnißbestrebungen begün
stigen.
Die durch diese großartige deutsch 2 Ver
sammlung hervorgerufene deutsche Organi—
sation aber beweist schon durch die von ihr
angenommene Platform, daß sie sich durch
aus nicht an eine bestimmte Partei im
Voraus oder überhaupt binden will. und
kann. Denn die von den Delegaten meh
rerer hunderte von deutschen Vereinen an
genommene Platform lautet:
„Der Bun d deutsch-amerikani--
scher Bürger von Chicago und
Umgegend soll dem Frieden und dem
Gedeihen unserer großen Republik dienen.
Deßhalb wird er allen Versuchen entgegen—
eten, die guten Beziehungen der Vereinig—
ten Staaten zu anderen Ländern zu stören,
oder uns mit irgend einem Staate in ein
Bündniß zu verstricken, welches uns zwingen
für fremde Interessen zu kämpfen.
Zum Nutzen unserer Nachkommen sowie un
serer Republik wollen wir die Errungen—-
schaften der deutschen Bildung und Gesittüng,
welche wir über das Meer gebracht haben,
mit germanischer Treue erhalten, entwicteln
und dem hier in der Bildung begriffenen
Volke vererben. Deshalb verpflichten wir
uns zur Pflege der deutschen Sprache, deut—-
scher Sitten, deutscher Geselligkeit und alles
dessen, was an der deutschen Art gut ist.
Und wir verbünden uns zu Schutz und Trutz
gegen böswillige Hetzer, gegen Wühlereien
zur Beschränkung deutscher Einwanderung,
sowie gegen alle Angriffe auf unsere berech
tigte Eigenart, oder auf unsere, den Idealen,
wie dem Frohsinn huldigenden Lebensge—-
Unseren Vollziehungsausschuß
beauftragen wir, im obigen Sinne zu han—-
deln und zum Kampfe aufzurufen, wenn
immer das nöthig wird, damit wir gegebenen
Falles die ganze Wucht der deutschen Stim—
menmacht für unser gutes Recht einsetzen
ren
Mit keiner Silbe ist in diesem Programm
gesagt, daß man sich zur Erreichung der
edlen Zwecke für eine bestimmte Partei im
Voraus erklären solle. Und nichts liegt
dem Kerne der großen Bewegung ferner als
ein Gezänke und Gefeilsche über die näch—
sten erst im Herbste des Jahres 1900 er—
folgenden Nationalwahlen. Leute aber,
welche die Namen hervorragender Theil—
nehmer an der Bewegung, wie den des bra—
ven Lentz von Ohio, so voreilig in die
Wwöchentliche Alinois Staats -Zeitung, Mittwoch, 16. August 1899.
nächste Präsidentenwahl hineinzerren und!
die deutsch-amerikanischen Organisationen
zu Hamndlangern des Freisilberflügels der
demokratischen Partei zu erniedrigen suchen,
erweisen der Zukunft solcher Männer, und
der deutschen Bewegung selbst, einen schlech
ten Dienst. ;
Die Theilnehmer an der großen Bewe—
gung hier und allenthalben, auch in De—
troit, sind ihr beinahe alle als unabhängige
freie Männer ohne Parteihalsband beige
treten und behalten sich, „wenn immer das
nöthig wird“, ein kraftvolles möglichst eini
ges Handeln vor, ohne sich im Voraus po—
litisch zu binden.
Wieder ein Opfer. ;
„Corriger la fortune“ heißt so viel wie
„das Glück verbessern“, also falsch spie—
len. Lessing hat uns in seiner „Minna von
Barnhelm“ damit bekannt gemacht, und wer
sich näher unterrichten will, was die Worte
bedeuten, der mag beim Prinzen von Wales
anfragen. „OCorriger la justice“ denken
die Nationalisten, Royalisten und Rabuli—
sten in Frankreich, denen die bürger
liche Republik zu einfach, zu friedlich, zu
hausbacken ist, und sie haben mit falschen
Dokumenten und Zeugen in den Dreyfus-
Prozeß eingegriffen, sie haben die Armee
aufgehetzt, mit der Revolution gedroht und
sogar den Meuchelmord in ihren
Dienst gestellt, um in dem unseligen Pro—
zesse, der seit Jahren Frankre:ch schändet
und nicht zur Ruhe kommen läßt, eine ihren
Anschlägen auf die Republik günstige Wen—
dung herbeizuführen.
Angenommen selbst, Dreyfus, der ein
lotteriges Leben führte, hätte sich mit der
Spionage verdächtigen Personen abgeg?ben
und leichtfertigen Umgang gepflogen, „ohne
es zu wissen“, um mit Blaine zu sprechen,
so wäre dieses Vergehen eines Offiziers eine
Mücke im Vergleich zu dem Elephanten der
Niedertracht und Verschwörung, der Lüge
und Verleumdung, den die Anti-Drey—
fusarden, die Judenhetzer und „Vateriands
retter“ aus der Mücke gemacht haben, um
Dreyfus zu entehren und die französische
Regierung zu discreditiren und in fortwäh—
render Unruhe zu erhalten.
Der Prozeß ist nun in Rennes im Gange
und man hat allgemein den Eindruck er—-
halten, daß die jetzige französischz Regie—
rung die moralische Kraft und den Muth
besitze, das gesammte Dreyfus-Material
unparteiisch zu prüfen und ein gerechtes
Urtheil herbeizuführen.
Nur die Gerechtigkeit konnte das
Schandmal reinwaschen, mit dem der
Drehsfus-Skandal Frankreich befleckte, und
nun lauern die Mordbuben auf den zu
früher Morgenstunde zum Gerichtssaale
eilenden Advokaten Ferdinand La—
bori, der Dreyfus vertheidigt, und jagen
ihm hinterrücks eine Kugel in den Leib.
„Corriger la justice!“ Aber wartet
nur, ihr Glücksritter und Mordhuben, die
ihr im Namen des Vaterlandes, ja sogar
im Namen der Religion gegen die Republik
ankämpft, um mit Hilfe der Armee einen
Bourbonen oder Napoleoniden auf den
Thron Frankreichs zu erheben! All eure
Anschläge werden zu schanden werden,
denn der Dreyfus-Prozeß wird nicht nur
vor und für Franzosen, nein, er wird vor
aller Welt getührt.
Um 6 Uhr früh des 14. August sinkt
Labori, von der Kugel des Meuchelmörders
getroffen, auf dem Wege zum Gerichtssaal
zusammen, und um 6 Uhr Morgens des
gleichen Tages lesen wir Chicagoer
schon den Bericht über das Bubenstück in
den Zeitungen.
Die große Welt ist sehr klein geworden:
wir Alle sitzen im Gerichtssaale zu Rennes,
kein Wort geht uns verloren, und in der—
selben Stunde, in der das Urtheil verkünder
wird, wissen wir auch schon, ob Frankreich
sich reingewaschen oder noch mehr besudelt
hat.
Das rampfreiche Leben des Ge—-
neral Schwan.
Ueber die interessante Vergangenheit des
General Theodor Schwan, der
außer Gen. Klaus gegenwärtig der einzige
deutsche General bei den Truppen der Ver.
Staaten ist, können wir nun, zu der bereiis
von uns gebrachten kurzen Lebensstizze hin,
Näheres mittheilen.
Er wurde am 9. Juli 1841 in dem Dorfe
Horneburg im Amt Buxtehude des Kreises
Stade im damaligen Königreich Hannover
geboren und ist der Bruder des dereits in den
Achtzigen stehenden ausgezeichneten deutsch—
amerikanischen lutherischen Geistlichen Dr.
H. C. Schwan in Cleveland, der so viele
Jahre und mit so großem Erfolge Präsident
der „Missouri Synode“, dieser großen Or—
ganisation der deutschen lutherischen Kirche
Amerika's, war.
Theodor Schwan kam, mit guter deutscher
Gymnasialbildung ausgestattet, im Jahre
1857 in dieses Land. Noch nicht siebzrhn
Jahre alt, trat er als Gemeiner in das re—
guläre Heer der Ver. Staaten, und alsbald
hatte er einen furchtbar anstrengenden Feld—-
zug mit zu machen, den Marsch durch
Schnee und Eis in dem damals noch nicht
mit Straßen und Eisenbahnen durchzogenen
Felsengebirge gegen die aufständischen Mor—
uen in Utah. Leiter dieses Feldzuges war
der em 6. April 1862 als Heerführec der
großen Rebellion, welcher sich der treffliche
Unionsoffizier aus Staatenrechtelei ange—
schlossen hatte, in der Schlacht bei Shiloh
gtfallene General Albert Sidney Johnston.
Aus Schwan's Leistungen im Bürger—
kriege sei noch folgendes erwähnt: Er
kämpfte in diesem gewaltigen Kriege in mehr
als zwanzig Schlachten und rettete in einer
derselben mnit großem Heldenmuthe einen
verwundeten höheren Offizier aus den Hän—
den der Feinde, wofür er später vom Con—
greß die für außerordentliche vor dem Feind
bewiesene Tapferkeit gestiftete goldene Eh—
renmedaille erhielt. Allmählich brachte er's
im Bürgerkrieg zum ersten Leutnant. Ein
Jahr nach jenem Krieg wurde er Haupt—
mann, gleichfalls bei den Regulären. Er
machte nun, allmählich zu höheren Stellen
vorrückend, mehrere blutige und aufrelbende
Indianerfeldzüge mit und wurde auch im
Frieden im Indianerdienst verwendet. und
er erwarb sich in diesem Dienst bei den so
oft betrogenen Rothhäuten durch seine un—
verbrüchliche Rechtschaffenheit und Gerech
tigkeit den Namen: Das Bleichgesicht, das
niemals lügt.
Durch eifrige Studien eignete sich Schwan
nach und nach neben seiner praktischen krie
gerischen Erfahrung reiche militärwissen—
schaftliche Kenntnisse an. Darum wurde er,
nachdem er im Laufe der achtziger Jahre mit
Majorsrang in der Generaladjutaniur zu
Washington thätig gewesen, zum Militär-
Attachs bei der ameritanischen Botschaft in
Berlin ernannt. Er studirte dort auf's
gründlichste deutsche Heereseinrichtungen
und deutsche Kriegskunst, und ein von ihm
verfaßter kriegswissenschaftlicher Bericht über
seine Studien und Beobachtungen in
Deutschland an's amerikanische Kriegsde—
partement fand namentlich auch hei deut—
schen Generalstabsoffizieren warme fach—
männische Anerkennung.
Beim Ausbruch des Kriegs mit Spanien
befand sich Schwan im Departementshaupt
quartier in Omaha. Nach kurzer Anwesen—-
heit auf dem Kriegsschauplatze von San—
tiago in Cuba wurde er als Brigadegeneral
nach Portorico geschickt. Er erhielt dort von
General Miles den Auftrag, den westlichen,
am schwersten zugänglichen Theil der Insel
von den spanischen Truppen zu säubern.
Diese Aufgabe hat er glänzend gelöst. Am
9. August 1898 rückte er an der Spitze des
11. Infanterieregiments, zweier Batterien
und einer Schwadron des 5. Kavallerieregi
ments gegen den Feind aus; schon am näch
sten Tage erreichte er trotz der tropischen
Gluth und der Hindernisse, welche das Ter—
rain bot, durch Gewaltmärsche den Feind bei
Hormigueros und trieb ihn zu Paaren. Die
Amerikaner hatten dort einen Todten und
15 Verwundete ,die Spanier 15 Todte und
35 Verwundete. Am 11. August zog Schwan
an der Spitze seiner Truppe in das von den
Spaniern verlassene Mayhaguez ein, nahm
aber die Verfolgung bald wieder auf. Viele
Spanier, die den Grandefluß nicht hatten
kreuzen können, wurden in diesen Fluß ge—
trieben, fünfzig gaben sich gefangen. Der
Rest stob nach allen Seiten auseinander. Die
wichtigste Stadt an der Nordtüste, Arecibo,
war nun beinahe in Schwan's Gewalr. Da
kam die Botschaft, daß in Washington das
Präliminarfriedens-Protokoll unteczeichnet
und der Vormarsch einzustellen sei.
Schwan's Leistungen auf Portorico ge—-
hören zu den: wenigen Vorzüglichen. w;5
zu Lande in diesem Kriege geleistet
wurde. Während die Benera!e Broote, Wil—
son und Henry mit starken Streitkräften
auf besseren Straßen durch die Insel vor—
rückten, fand Schwan mit seiner kleinen
Streitmacht ernstliche Hindernisse, die er
aber mit Umsicht und Taktik zu überwinden
verstand. Dabei hatte er's mit den besten,
ihm an Zahl überlegenen und in selbstge—
wählten guten Stellungen befindlichen spa—
nischen Regulären zu thun.
Kürzlich wurde Gen. Schwan bekanntlich
nach dem Kriegsschauplatze auf den Philip—
pinen geschickt.
Sein größter Fehler im Lande der Unbe—
scheidenen ist seine übergroße Bescheiden
heit. So sucht er auch die von anderen Ge—
neralen eifrig gesuchte Erwähnung in Zei—
tungen ängstlich zu vermeiden. Auch in sei—
nem schlichten Aeußeren prägen sich seine
Bescheidenheit und Zurückthaltung aus.
Wenn ihn die Tagalenkugeln verschonen,
hat er noch eine beinahe siebenjährige
Dienstzeit vor sich, ehe er an der Alters—
grenze des amerikanischen Offiziers an—
langt.
Wer A sagt, muß auch B sagen.
Kein Demokrat wird der republikanischen
Partei vorwerfen, daß sie für den Krieg mit
Spanien verantwortlich sei, denn die Demo—-
kraten haben in ihrer Platsorm vom Jahre
1896 die „Befreiung Cuba's yom spanischen
Joche“ womöglich noch energischer gefordert
als die Republikaner, und im Congresse ha
ben viele Demokraten ebenso laut zum
Kriege gehetzt wie gewisse Parteigänger
McKinley's, der sich lange sträubte, es zum
Aeußersten kommen zu lassen und einem
Kriege wahrscheinlich sogar ausgewichen
wäre, wenn nichi nach der Zerstörung der
„Maine“ im Hafen von Havana die öffent—
liche Meinung den Krieg so stürmisch ver—
langt hätte. ·
Dieser Krieg hatte aher Folgen, deren
Schwere und Tragweile beim Beginne
Niemand vorausgesehen hat. Wir sind
nicht nur mit einem Schlage die Herren über
Spanien's westindische, sondern auch über
seine ostasiatischen Besitzungen geworden.
Spanien hat seine Kolonien verloren, es ist
zu einer Macht dritten Ranges herabgesun—-
ken, während die Ver. Staaten ganz plötz—
lich als Macht ersten Ranges auf
dem ostasiatischen Attionsfelde er—
schienen sind und durch die Angliederung
von Hawaii und der Philippinen jetzt eine
gebietende Stellung einnehmen.
Nicht daß wir die Philippinen genommen
haben, kann der Administration zum Vor—
wurfe gemacht werden, sondern daß unsere
Regierung bisher noch zu ?einem Einver—
ständniß mit den Eingeborenen hat kommen
tönnen, daß sich der mörderische Krieg so
in die Länge zieht, darüber werden
allenthalben · und zwar berechtigte Klagen
laut. ;
Wir sind also mitten drin in einer Ko—
lonialpolitit, die schon für manches
Land verhängnißvoll geworben ist. Es
: aber, als ob auch unser Volt mit dä—
monischer Gewalt in sie hineingezogen würde
und als ob sich auch da das alte Wort be—-
wahrheiten sollte, daß wer einmal A ge—-
sagt, auch B sagen müsse. ;
Die Logik der Thatsachen ist eine zwin—
gende. Unsere Stellung auf Cuba und
Portorico macht es nothwendig, daß wir
den Vorgängen auf der Insel Hahti die
größte Aufmerksamkeit scheaken. Diese
herrliche und produktive Insel liegt zwischen
Cuba und Portorico, bildet also ein Glied
in der Kette, ohne welches diese nicht
ständig ist. Wie Herr Emnil Lüders,!
welcher vor zwei Jahren den Streit mit der
Regierung von Hayti hatte, der durch das
Erscheinen eines deutschen Kriegsschiffes
rasch geschlichtet wurde, Herrn Horace l
Townsend, dem Spezialberichterstatter des
hiesigen „Record“, gestern in London mit—-!
theilte, find die Zustände auf Hayti auf die
Dauer unhaltbar, die Regierung sei ein
Hohn auf die Civilisation und das Leben
und Eigenthum der Fremden sei kteinen 2
genblick sicher. Jeder Fremde hoffe, daß
sich die Ver. Staaten der Insei bemächtigen
denn eigentlich habe jede Greßmacht die!
Pflicht, den erbärmlichen Zuständen auf der
Insel ein Ende zu machen.
So spricht sich Lüders auz, dessen Fa
milie in Hahti ausgedehnte Brsitzungen und
Interessen hat.
In San Domingo ist kürzlich Präsiden!
Heureaux ermordet worden und droht eine
Revolution auszubrechen. Schon sind einige
unserer Kriegsschiffe zum Schutze amerika
nischer Interessen nach San Domingo ab—
gegangen und wer weiß, ob nicht dic Revo—-
lution im östlichen Theile der Insel auch ei—
nen Umsturz der Regierung von Hayti in
Port au Prinee zur Folge hat.
Die Monroe-Doktrin schließt das Ein--
greifen irgend einer europäischen Macht auẽ;!
die Ver. Staaten sind berufen, für die
cherheit des Handels und bes Lebens eure
päischer und amerikanischer Kaufleute auf
den westindischen Inseln zu sergen, und
wenn die Negerrepublik in Hayti oder .die
Mulattenrepublik in San Domingo Handel
und Wandel nicht zu schützen vermögen,
wenn sich diese greulichen Kerle danpren
gleich auf die weißen Pflanzer und Kauf—
leute stürzen, dann muß ihrer „Regierung“
der Garaus gemacht werden, je cher, desto
besser.
Nobles Verhalten des deutschen
Kaisers gegen die Ver. Staaten.
Was wir hier mittheilen, ist wohlver—
bürgt durch den Chicagoer Natio—
nalabgeordneten George Ed—
mund Foß. Herr Foß war im Ab—
geordnetenhause des fünfundfünfzigsten
Congresses eines der hervorragendsten Mit
glieder des Flottenausschusses und der
Schöpfer des neuen Flottengesetzes. Daß
ihm der bereits bestimmte Sprecher des Ab
geordnetenhauses des neuen Congresses, der
brave Kriegsinvalide Henderson von Jowa,
in demselben Ausschusse eine womöglich
noch hervorragendere Stelle geben wird, st
sicher. Foß, ein strebsamer Mann von
sechsunddreißzig Jahren, übrigens kein
Deutscher, sondern ein geborener Yantee
aus Vermont, von Beruf eigentlich Rechts
anwalt, gab und giebt sich große Mühe,
nit dem Flottenwesen näher bekannt zu
werden. Er befindet sich schon einige Zeit
in Europa, um dort (auf seine eigenen Ko
sten) die Flotteneinrichtungen der europãi--
schen Seemächte zu studiren.
Als Kaifer Wilhelm U. in vo
riger Woche bei seiner Rückkehr aus dem
Norden in Kiel ankam, von wo er später zu
seiner Familie nach Kassel reiste, erfuhr er,l
daß sich der amerikanische Nationalabgetord- l
nete Foß und der Flotten-Attachẽ der
ameriktanischen Botschaft zu Berlin, Floi
tenleutnant Behler, in Kiel befanden
und den Hafen, die Werften u. s. w. besich
tigten. Alsbald ließ der Kaiser die beiden
Amerikaner auf seine Yacht „Hohenzollern“
einladen. Natürlich nahmen sie mit Dank
an. Sie wurden in einer kaiserlichen Bar—
tasse abgeholt; der Kaiser empfing sie herz
lichst auf dem Deck seiner· Yacht und führte
sie dort in sein Arbeitszimmer, wo er sich
fünfundvierzig Minuten in elegantem
Englisch mit ihnen unterhielt.
Er sprach von den zwischen Amerika und
Deutschland bestehenden freundlichen
hungen, über die er sich sehr freue. Im
Laufe des Gespräches bemerkte er: Nie—
mals habe er auch nur für einen Augenblick
geglaubt, daß Admiral Dewey die diesem
in Zeitungen zugeschriebenen Aeußerungen
gegen Deutschland und gegen ihn wirktlich
gethan habe. Foß erwiderte: Es freue ihn
sehr, daß der Kaiser in dieser Weise denke
und empfinde; und er selbst könne be—
theuern, daß jener Zeitungsbericht gänzlich
unwahr sei; denn er komme soeben von
Triest, wo er beinahe stets in der Nähe des
Admirals Deweh gewesen sei; die Schweig
samkeit Dewey's bezüglich der Angelegenhei
ten in Manila und namentlich betreffs sei—
nes Verhältnisses zum deutschen Geschwader
daselbst sei von Jedermann bemerkt wor—-
den; die „Olympia“ sei von Zetungade
richterstattern überlaufen worden, und da
es diesen nicht möglich gewesen, eine Aus—-
sage von Admiral Dewey zu erhalten, hät
ten einige von ihnen Sensations-Inter—
views erdichtet, ohne Rücksicht auf Wahr
heit und Folgen. Dem Kaiser leuchlete
diese Auseinandersezung des Herrn Foß
ein und er sagte weiter: Er hege keinerlei
Befürchtung, daß die Beziehungen zwischen
beiden Ländern jemals unfreundlich werden
würden; die Deutsch-Ameriktaner
würden stets ein Unterpfandl
der Freundschaft zwischen ih
rxem Geburtslande und ihrem
Adoptivvaterlande sein.
Auch auf Samoa kam der Kaiser zu
sprechen: Er sei überzeugt, daß der!
deutschenfeindliche Ring in
England amerikanische Zeitungen wie—-,
der gegen Deutschland aufzustacheln gesucht
habe; doch ebenso fest sei er überzeugt, daß
die Masse des ameritanischen Volkes stets
jedem Versuche, einen Streit mit Deutsch
land aufzurühren, entgegen gewesen.
—Auf die vermehrien Flotitenrü—
stungen der Vereinigten Staa—
ten und Deutschlands zu sprechen
nte sagte der Kaiser: Deutschland
habe seit vielen Jahren den europäischen
Frieden durch Aufrechthaltung einer macht—
vollen Armee bewahrt; da die zukünftigen
Schicksale von Nationen auf dem Meere lie—
gen, sei es für Deutschland, Amerika und
alle anderen Großmächte eine Nothwendig—
-2 große Kriegsflotten zu unterhalten,
nicht zur Bedrohung, sondern damit jede so
stark sei, daß keine es wage, sie anzugreifen.
Der Kaiser schloß mit den Worten: „Das
ist die beste Friedensconferenz; das beschirmt
den Weltfrieden besser, als jede Ueberein
kunft und jeder Vertrag.“
Der Kaiser sorgte dafür, daß Foß nach
gründlicher Besichtigung des großen deut—-
schen Ostsee-Kriegshafens Kiel ebenso ge—
nau und unter ebenso guter Führung den
großen deutschen Nordsee-Kriegshafen Wil—
helmshaven besichtigen konnte.
Das oben geschilderte Verhalten des
deutschen Kaisers dürfen wir wohl ein nob—
les gegenüber den Vereinigten Staaten nen—
nen. Er kennt die bübische Weise, in wel—-
cher ein namhafter Theil der englisch-ame--
rikanischen Presse gegen ihn persönlich hetzte,
recht wohl. Aber trotz seiner großen per—-
sönlichen Empfindlichteit läßt er jene meist
ebenso dummen wie gemeinen Beleidigun
gen die Vereinigten Staaten keineswegs
entgelten, indem er sorgfältig zwischen riner
entarteten Presse und einem tüchtigen Volte
unterscheidet. Besonders schön ist sein gu—
ter Glaube an Deweyh, wie an die Ver—
einigten Staaten; und noch schöner das,
was er über das Deutsch-Amerika—
nerthum sprach. Die Herzlichkeit, in
welcher er seine und Deutschlands Freund—
schaft für die Vereinigten Staaten erklärte,
kann nur zu der Befestigung dieser Freund—
schaft beitragen.
Ebenso treffend ist, was er über Samoa
und die Flottenrüstungen äußerte. Und
sein gutartiger Schlußhieb auf die Frie—
densconferenzen kann, da er mit so warmer
und werktthätiger Friedensliebe gepaart ist,
vernünftige Friedensleüte nicht beleidigen.
Zum Kampf in Kentucky.
Vor einigen Tagen rnachte der Louisville
Anzeiger die Bemerkung, daß der ganze
Kampf gegen den demoktratischen Gouver—
neurskandidaten Göbel in der Keniuckier
Presse mit dem Gelde der Louisville &
Nashville-Eisenbahn geführt werde. Dazu
bemerkt nun Herr v. Schleinitz, der jetzige
Redakteur der Milwautkee „Germania“,
welchei früher als Redakteur des„Anzeiger“
Jahre lang in Louisville gelebt und die Par
teiverhältnisse und politischen Streber Ken
tucky's genau kennen gelernt hat, Folgendes:
„Ist das nicht doch eine etwas zu ge
wagte Behauptung? Die genannte Bahn—
gesellschaft ist allerdings eine erbitterte
Gegnerin Göbel's, der seinerseits als Ad
vokat wie als Mitglied der Gesetzgebung
sein Möglichstes gethan hat, um der Gesell—
schaft das Leben sauer zu machen. Wir
wollen auch gern glauben, daß die L. & N.
Bahn außer dem bedeutenden politischen
Einfluß, den sie besitzt, auch ein gutes
Stüct Geld daran wenden wird, um Göbel
zu schlagen. Daß aber die ganze Kentuckier
Presse, welche Göbel bekämpft, mit dem
gleißendem Golde der reichen Korporation
bestochen sei, das zu beweisen, dürfte unse—
rem Louisvpiller Kollegen doch schwer wer—-
sden. Göbel's politische Vergan—
genheit hat so diele duntle
Puntte aufzuweisen, er ist in je
der Beziehung ein so unsicherer Kantonist
und die Mittel, deren er sich bediente, um
bie Gouverneursnomination zu erriugen,
waren so fragwürdiger Natur, daß der
Opposition, welche viele demokratische Blät—-
ter ihm machen, recht wohl ehrliche und lau—
tere Motive zu Grunde liegen können. Wir
unsererseits haben Göbel stets für einen
gefährlichen und schlüpfrigetn
Demagogen gehalten. Und wir giau—
ben, daß Tausende von demokratischen
Stimmgebhern am Wahltage diesem Urtheil
beistimmen werden.“
Ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Das französische Wehrgesetz vom 19. Juli
1892 hat einen aus hohen Generalen beste—
henden oberen Kriegsrath zur För—
derung und Inspektion des Heerwesens ein
gesett Die Aufnahme in dieses Collegium
gilt für eine hohe Ehre.
Als der Kriegsminister Galli—
fet nun kürzlich den gefeierten General
Neẽgrier wegen staatsgefährlicher Um—
triebe aus dieser Behörde entfernte, glaubten
Viele, das sei nur ein Schreckschuß oder eine
zeitweilige Enthebung. Doch an demselben
siebten August, an welchem der Prozeß
Dreyfus in Rennes begann, erhielt Ne—
grier förmlich einen Nachfolger im Ober--
triegsrath in dem der Republik treuen
ral Pierron, dessen Ecnennung an Stelle
Negrier's an diesem Tage der größten Dreyh—
fus-Erregung amtlich bekannt gemacht
wurde.
Kriegsminister Gallifet handelte in
dieser wichtigen Sache ganz in Ueberein—
stiimmung mit Waldectk-Roussean
den anderen Ministern. Ein Zaunpfahl—
wink für alle der Republik und der Säube—-
rung der Armee feindlichen Generale!
Négrier, in Folge seiner Tapferteit und
Kriegstüchtigkeit his jetzt der populärste un—
ter den Generalen der französischen Infan—
terie, aber verbissener Anhänger des König
thums, war offen bestrebt, sür den Fall, daß
Dreyfus in Rennes freigesprochen würde,
eine Erhebung des Heeres herbeizuführen. Er
ist zunächst wegen folgenden Thatbestandes
gemaßregelt worden, welcher in der vom
Kriegsminister veranstalteten Untersuchung
feltarlient wurde:
General de Nẽgrier hatte im Laufe seiner
Lhten Inspettionsreise in Dijon smmtliche
Generale zu Tisch geladen und denselben er—
klärt, daß die Mitglieder des Oberkriegs—
raths ausnahmslos entschlossen seien, sich
einem freisprechenden Urtheil des Kriegsge
richts in Rennes nicht zu beugen und die Ehre
der Armee unter allen Umständen zu verthei—
digen. Im Verhör nun suchte Nẽgrier seine
aufrührerischen Worte abzuschwächen und zu
beschönigen. Aber durch Ohrenzrugen, dar—-
unter Brigadegeneral Mainoi-Worly, wurde
bewiesen, daß er wirklich in der angegebenen
Weise gesprochen und gehetzt hat. Zum
Glücke ist es auch erwiesen, daß er betreffs
seiner Collegen vom Obertriegsrath frech ge
logen hat, indem diese, wie sie betheuern,
durchaus nicht seine schlimmen An- und Ab
sichten theilen.
Sobald obiger Thatbestand erwiesen war,
zögerte Gallifet nicht, den hochstehenden Ge—
veral, weil dieser die ihm unterstehenden
Offiziere offen zur Unbotmäßigkeit gegen die
Regierung aufgereizt hatte, in der angege
benen Weise zu maßregeln.
Nẽgrier agitirte seit Jahren unermüdlich
in den Salons und in den Clubs gegen die
Republik. So soll er, als er von dem miß
glückten „Staatsstreich“ Deẽroulède's, wel
cher die Truppen des Gen. Roget zum Marsch
gegen den Präsidenten Loubet aufforderte,
gehört hatte, in einer Offiziersgesellschaft
ausgerufen haben: „Der einzige Fehler, den
General Roget begangen hat, ist der, daß er
Doẽroulède nicht gehorcht hat!“ Letzteres
mag Klatsch sein; aber der erwiesene Auf—
tritt in Dijon genügt vollständig, um die
Handlungsweise Gallifet's zu rechtfertigen,
welcher, als er sie dem Ministerium vorlegte,
die Worte sprach: „Ich habe ein Ministe
rium angenommen, um die Republit zu
schützen, und ich werde meine Pflicht erfül
len!“
Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der
Entlassung Neégrier's waren von der Poli
zeipräfektur in Paris im Einklang mit dem
von Gallifet an die Stelle des Gen. Zurlin—
den gesetzten neuen Militärgouverneurs
Vorsichtsmaßregeln gegen mögliche Unruhen
getroffen worden. Patrouillen der Muni—
zipalgarde durchzogen die Straßen, and Ab—
iheilungen derselben Truppe wurden in öf—
fentlichen Gebäuden in Reserve gehalten. So
standen bis zu später Nachtstunde 300 Mu—
nizipalgardisten im Hofe der Bürgermei
sterei des 9. Bezirks in der Rue Drouot be—-
reit. Es ereignete sich jedoch nichts.
Auch für den Fall der Freisprechung von
Drehfus wird die Disziplin in der franzö—
sischen Armee vollständig aufrecht ertalten
werden. Dafür bürgt auch der oben bespro
chene Schritt Gallifet's nebst den Säuberun—
gen, die er schon vorher unter den Spitzen
des Heeres vornahm.
Nachzahlen! -
Wer den Assessor hintergegangea oder mit
ihm unter einer Decke gespielt und daher
den Fiskus betrogen hat, der sollte
doch ebenso gerichtlich delangt wer—
den können, wie ein Clerk, der das Geschäft
bestohlen, oder wie irgend ein anderer Ver—
brecher, dessen Missethat später an's Ta—-
geslicht gezogen wird.
In Preußen ist voriges Jahr der Fiskus
gegen den Nachlaß eines sehr reichen Man—
nes klagbar geworden, der dem Steuerbeam
ten seinen Vermögensstand stets zu niedrig
angegeben hatte. Die Erben mußten einen
sehr großen Betrag nachzahlen und der
Nachlaß wurde außerdem mit einer bedeu—
tenden Strafsumme belegt.
In Milwautkee hat vor einigen Jahren ein
bekannter, sehr reicher deutscher Bürger
über $40,000 Steuern nachzahlen
müssen, um die er sich herumg:drücti hat.
So wie das Frühjahr kam, zog dieser
„Bürger“ in ein benachbartes Town und
lebte dort in sehr bescheidenen Verhältnis
sen, während sein hübsches und reich ausge
stattetes Wohnhaus in der Stadt leer stand.
Kam zwischen dem 1. April und dem
1. Mai der Assessor herum, dann fand er
das Haus verschlossen und leer. Der Haus—-
herr jedoch fuhr jeden Tag in einem Ein—
spänner in die Stadt und hätte leicht abge
faßt werden können. Der Assessor hat aber
kein Recht, die Drückeberger auf der Straße
anzuhalten, und außerdem hätle ihm der
reiche Herr K. gesagt: Was wollen Sie
von mir? Ich, wohne nicht :n Milwautee
und bezahle daher auch keine Steuern auf
mein bewegliches Eigenthum. Dieses ist
in dem Town abgeschätzt, wo ich wohne.
Jedes Kind wies in Milwaulkee auf den
reichen Herrn, der sich wie sonst Keiner
um die Steuern herumzudrücken wußte.
Endlich aber fand man doch die gesetzli—
chen Mittel, des reichen Drückebergerz hab—
haft zu werden, welcher Bonds und Hypo—
theken im Werthe von vielen Hunderttausen—-
den besaß. Er. wehrte sich zwar und der
Prozeß wurde bis in die höchsten Instanzen
geführt, schließlich aber kam doch der Tag,
an dem der alte Herr mit farrer Miene
tief in den Geldbeutel greifen und, wenn wir
uns der Summe recht erinnern, 40,000 auf
einem Fleck an den Fistus herauszahlen
mußte. ;
Durch die diesjährigen Abschätzungen in
Chicago und die Thätigteit der Revisions
behörde ist ein Steuerbe!rug ent—-
hüllt worden, wie er in gleicher Unverschämt
heit und Ausdehnung wohl noch nirgends
vorgekommen ist. Bei hunderten von
Fällen ließ sich leicht zur Evidenz nachwei
sen, daß an dem Fiskus Jahr für Jahr
ein schändlicher Betrug verübt worden ist,
und wir sind überzeugt, daß die Stadt Chi—
cago Millionen und Millionen von Dollars
schuldiger Steuern auf dem Wege des
Rechtsverfahrens von den reichen Drückt
bergern collektiren, sowie die Assessoren dez
Bti— überführen und in's Zuchthaus
stecken könnte.
Das bloßze Wort Nachzahlen!
würde den Drückebergern so schwer in die
Glieder fahren, daß die meistea es gar nicht
zu einem Prozesse kommen lassen, sondern
ein schleuniges „Settlement“ all-n weiteren
Scheerereien vorziehen würden.
Aus der Familie Kupferbergin
Mainz werden jetzt Erinnerungen an den
Aufenthalt veröffentlicht, welchen Bis—
marck Anfang August des Jahres 1870
auf dem Durchmarsch nach Frankceich bei ihr
tonnen Bei seinem gemüthlichen Plau—
dern mit der Familie kam die Rede darauf,
daß die Anschauungen des Volkes auch in
Mainz über Bismarck in verhältniß
mäßig kurzer Zeit völlig andere geworden
seien. Bismarck wußte es am besten. Er
hatte sogar Kenntniß davon, daß süddeutsch-
Damen die Photographie des Attentüä—
ters Blind-Cohen, der ihn im Mai
1866 in Berlin zu erschießen suchte, in ihren
Albums aufbewahrt hatten. Die Frau des
Hauses wurde bei diesem Gespräch feuerroth
und Bismarck neckte: „Also auch Sie, Frau
Kupferberg?“ Und die verlegene Antwort
lautete: „Ich zwar nicht, aber raeine in
Frankreich verheirathete Tochter!“ „Na,
da sehen Sie, daß ich Recht hatte“, antwortete
lachend der Kanzler.
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